Das Rheinland
Der heutige Rheinlandbegriff entstand erst in der Zeit der preußischen Regierung. Das Bewusstsein einer gemeinsamen rheinischen Identität bildete sich durchaus im Gegensatz zu den noch heute sprichwörtlichen strengen „preußischen Tugenden“ heraus. Nachdem in den linksrheinischen Gebieten und dem Großherzogtum Berg bereits 1814 eine provisorische Verwaltung unter preußischer Leitung eingerichtet worden war, nahm Preußen die Rheinlande im April 1815 auf Beschluss des Wiener Kongresses offiziell in Besitz. Zehn bis zwanzig Jahre französischen Einflusses hatten ihre Spuren hinterlassen – und diese waren der Bevölkerung nicht unlieb.
Einer Vereinheitlichung des Rechtssystems nach preußischem Konzept widersetzten sich die nach dem Code Civil verwalteten neuen Provinzen vehement. 1818 wurde ihnen zugestanden, die Reformen der französischen Zeit vorläufig beibehalten zu dürfen, so in der Justizverwaltung und der für Stadt und Land gemeinsamen Kommunalordnung.
Insbesondere in Bezug auf das politische Mitspracherecht gingen die Vorstellungen weit auseinander. Die von König Friedrich Wilhelm III. und Staatskanzler Karl August von Hardenberg versprochene Verfassung samt Volksvertretung ließ noch bis 1848 auf sich warten. Sie wurde zum Lieblingsthema zahlreicher Denkschriften, in denen sich Rheinländer an die Regierung wandten.
Auf diesem Weg sprach man sich auch gegen Einschränkungen der Pressefreiheit und der katholischen Kirche aus. Letztere erschien dem protestantischen Preußen oftmals als Rivalin im Kampf um die Loyalität der Bevölkerung. Die im Bismarckschen „Kulturkampf“ gipfelnden konfessionellen Spannungen sorgten auch in den vorangehenden Jahrzehnten immer wieder für Reibungen, wobei die westlichen Provinzen stets ein Schwerpunkt des auf gesamtpreußischer Ebene verhandelten Konfliktes bildeten.
Während Bürgertum und wachsende Arbeiterklasse ihr Recht auf Mitgestaltung einforderten und sich zunehmend in demokratischen Vereinen zusammentaten, kämpfte der Adel seinerseits für die Wiederherstellung seiner vorrevolutionären Privilegien. Anders als im Osten des Königreiches hatten die linksrheinischen Bauern im Zuge der französischen Reformen größtenteils die Unabhängigkeit ihrer Güter von adligen oder geistlichen Grundherren erlangt.
Vor allem durch ihre Kohlevorkommen entwickelten sich die westlichen Gebiete im Laufe der in großem Maße von Bankiers und Fabrikanten getragenen Industrialisierung zu einer wirtschaftlich gewichtigen Region. Damit einher gingen ein starker Bevölkerungszuwachs und die zunehmende Verstädterung des Raumes. Die wirtschaftlich motivierte Migration zwischen Ost und West trug wesentlich zur Integration des Westens bei. Die nationale Ideologie erleichterte den Rheinländern den Bezug zu Staat und Oberhaupt. Im Zuge des Hohenzollernkultes entstanden hier besonders viele Kaiserdenkmäler. Immer wieder schöpften im Gegenzug auch ‚regionsfremde’ Literaten und bildende Künstler das ästhetische und mythische Potential der Rheinlandschaft aus. Eine steigende Zahl von Museumseröffnungen und Ausstellungen um die Jahrhundertwende reflektiert das wachsende Interesse an der jüngeren und älteren Vergangenheit.